von Dina Benito
Wasser ist sein Element. Der kleine Strahlemann plantscht und kreischt vor Freude. Zusammen mit seinem Bruder traut er sich sogar auf die Babyrutsche. Der fünf Jahre älterer Jannik hat ihn dabei fest im Griff. Hier kann nichts passieren, außer einer Menge nasser Spaß. Mama Stefanie guckt stolz auf ihre beiden Jungs. „Ich bin so überglücklich, dass wir das heute mit Jonas machen können“, lacht sie. Dass Jonas einmal so fröhlich mit seiner Familie im Wasser spielt, war vor einem Jahr kaum vorstellbar.
Stefanie und Roland freuen sich auf ihr zweites Kind. Sie sind gespannt, ob ihr erster Sohn Jannik einen kleinen Bruder oder eine Schwester bekommt. In der 21. Schwangerschaftswoche machen sie einen Ultraschall bei einem Feindiagnostiker. Die Worte des Arztes hat sie noch genau im Kopf: „Ich kann Ihnen sagen: Es wird ein Junge, aber er hat einen Herzfehler.“ Stefanie kann ihre Tränen nicht zurückhalten, Roland kämpft mit der Fassung. „Für uns ist eine Welt zusammengebrochen.“
Ihr Herzbaby hat ein Loch zwischen den zwei Herzkammern und die beiden Hauptarterien sind vertauscht, eine sogenannte TGA . Ein schwerer Herzfehler, ohne dessen Behandlung das Neugeborene keine Chance haben wird.
Die Familie wohnt im Osten Bayerns. Von Bekannten erfahren sie vom Zentrum für univentrikuläres Herz und andere komplexe Herzfehler (ZUVH) am Deutschen Herzzentrum in München. „Nach einem Telefonat mit Frau Dr. Lemmer hatten wir das erste Mal wieder Hoffnung“, erinnert sich Stefanie.
Das Herzbaby kommt
Es ist Februar 2021, noch immer Hochphase der Corona-Pandemie, besonders in Krankenhäusern. Zwei Wochen vor dem Entbindungstermin ziehen die Eltern ins Münchner Ronald McDonald Haus. Als Stefanie in die Geburtsklinik muss, ist sie jedoch auf sich allein gestellt. Die Pflegekräfte sehen nach ihr: „Keine Sorge, trotz Einleitung wird sich vor morgen nichts mehr tun.“
Um Mitternacht platzt die Fruchtblase, die Wehen setzen ein. Stefanie ist ganz allein. Bis das Klinikpersonal Roland kontaktiert und er im Krankenhaus ankommt, dauert es eine gefühlte Ewigkeit. Herzbaby Jonas ist schneller. Am 23. Februar kommt er auf die Welt. Anders als erwartet, darf Mama Stefanie sogar noch eine Zeit lang mit ihrem neugeborenen Sohn kuscheln. „Nach der Geburt ging es ihm so gut, dass sie ihn mir auf die Brust gelegt haben und wir uns ganz nah sein konnten. Das war wunderschön.“
Nach einer Stunde wird Jonas auf die Intensivstation verlegt. Das Loch in seinem Herzen verhilft ihm überraschenderweise in den ersten Stunden zu mehr Kraft.
Der erste Eingriff – nicht ohne Komplikationen
Erst zwei Tage alt, stellt sich das Herzbaby schon seiner ersten Herzkatheter-Untersuchung im Deutschen Herzzentrum München. Während die Eltern wieder ungeduldig im Ronald McDonald Haus warten, kommt es zu einem lang ersehnten Wiedersehen: Jonas‘ großer Bruder Jannik kommt mit den Großeltern zu Besuch. „Er ist direkt auf uns zugestürmt und wir lagen uns in den Armen. Wir haben uns unendlich gefreut, uns wiederzusehen. Das war ein ganz emotionaler Moment.“
Nach drei Stunden kommt der Anruf. Jonas hat die Untersuchung überstanden und Mama Stefanie darf zu ihm. Die Kinderkardiologen haben durch den Herzkatheter das Loch in der Vorhofscheidewand des Neugeborenen vergrößert, sodass sauerstoffreiches Blut hindurchfließen kann (sog. Rashkind-Manöver). Doch es lief nicht alles komplikationslos, Jonas hatte eine Luftembolie. Doch er kämpft sich wieder ganz nach vorn. Eine Woche später darf die Familie nach Hause. Jonas muss Medikamente nehmen und ordentlich Kraft tanken bis zur zweiten Herzkatheter-Untersuchung.
„Sie können nicht zurück nach Hause“
Im April ist es so weit. Jonas, Stefanie und Roland reisen für zwei Nächste nach München für die zweite Katheter-Intervention. Der große Bruder wartet zu Hause bei den Großeltern auf ihre Rückkehr. Doch es kommt anders als geplant. Eine Ärztin teilt ihnen die erschreckende Nachricht mit: „Der Lungendruck ist zu hoch, wir müssen ihn direkt operieren. Sie können nicht zurück nach Hause.“ Angst macht sich breit vor der bevorstehenden Notoperation. Eine Ärztin erklärt ihr, dass bei Jonas ein Shunt angelegt wird, der eine Verbindung zwischen zwei Hohlräumen erzeugt. „Ich konnte nicht schlafen. Es ist so ein schlimmer Moment, wenn man weiß, dass man sein Kind abgeben muss, mit ungewissem Ausgang.“
Es nimmt kein Ende.
Sekunden vergehen wie Stunden, bis die Eltern informiert werden: Jonas wird nun auf die Intensivstation verlegt. Als sie dort ankommen, rennt der aufgebrachte Chirurg an ihnen vorbei. „Ist etwas mit Jonas?“, ruft Stefanie ihm hinterher. „Ja, ich muss sofort zu ihm.“ Für die Eltern scheint es, als ob ein Alptraum wahr wird. Eine Kontaktschwester kümmert sich derweil liebevoll um sie. Sie beruhigt die besorgten Eltern und erkundigt sich nach Jonas Zustand. Das kleine Herzbaby verliert zu viel Blut und sein Blutdruck ist stark gesunken. Sie müssen ihn noch mal operieren, um die Ursache zu finden.
Erst jetzt steht fest: Jonas hat ein univentrikuläres Herz, ein Einkammerherz . Die Blutung wurde gefunden und gestillt, aber er muss noch unter Beobachtung bleiben. Erst Stunden später dürfen die Eltern zu ihm. „Beim ersten Anblick habe ich gedacht, dass das nicht mein Kind sei“, erinnert sich Stefanie. „So geschwollen, mit all den Schläuchen, überall piepst etwas.“ Eine Ärztin kommt zu ihr und fragt, ob sie sich in Ordnung fühle. „Dabei war ich einfach nur froh, dass unser Jonas lebt. Das war das allerwichtigste und schönste für uns. Aus den anderen Herzgeschichten und den Bildern wusste ich ja, was uns erwartet. Das hat sehr geholfen.“
Als die Familie endlich wieder nach Hause darf, mischt sich Freude mit Angst: „Was ist, wenn zu Hause etwas passiert und wir nicht direkt Hilfe bekommen? Zum Glück hatten wir diesmal einen Monitor dabei, der die Sauerstoffsättigung und die Herzfrequenz gemessen hat. Den haben sie uns in München mitgegeben, da die Ärztin meinte, die kritischste Phase sei zwischen der ersten und zweiten OP.“ Langsam stellt sich Routine ein – tägliches Gewicht checken, Werte messen, Medikamente geben.
Es bleibt keine Zeit mehr
Doch Ende Juni sinkt die Sättigung immer weiter. Sie nähert sich dem Grenzbereich täglich mehr. Steffi steht im ständigen Kontakt zu Frau Dr. Lemmer und Frau Beckmann vom Zentrum univentrikuläres Herz. Es wird über eine stationäre Unterbringung in Passau bis zur großen zweiten Operation im Juli nachgedacht. Als die Sättigung immer weiter fällt und Jonas Lippen langsam anfangen blau zu werden, ist klar: Die Situation ist lebensbedrohlich. Es bleibt keine Zeit, ein Hubschrauber holt Jonas ab. Die Operation muss vorverlegt werden. Nach Stunden des Hoffens und Bangens kommt der erlösende Anruf bei den wartenden Eltern: Ihr Baby hat alles gut überstanden.
Liebe auf Distanz
Jonas schlägt sich tapfer und erholt sich sehr gut von der Operation. „Das nennt man wohl eine reibungslose OP. War viel schöner als nach der ersten“, erinnert sich Steffi lachend, bevor sie fortfährt, „doch nach den Operationen haben die Kinder immer so einen leeren Blick von den Medikamenten. Da bekommt man direkt Angst, dass es so bleibt. Ich kann mich noch genau an das erste Lächeln nach vier Tagen erinnern. Das war unbeschreiblich schön.“
Jonas muss weiterhin in der Klinik bleiben, während die kleine Familie wieder im Ronald McDonald Haus untergebracht ist – dieses Mal zur großen Freude aller auch mit Sohn Jannik. „Wir konnten von unserem Fenster zu Jonas Fenster in der Intensivstation schauen. Jeden Morgen hat unser Großer Jonas ein Zauberbussi geschickt, viel erzählt und ihm gesagt, wie lieb er ihn hat. Er musste viel zurückstecken, aber auch er ist ein tapferer, lieber Junge.“
Fröhlich, rosig, herzkrank
Als Jonas endlich entlassen wird, bricht für die Familie eine neue Zeit zu Hause an. Sie genießen jede Minute gemeinsam mit ihren beiden Kindern. „Jonas ist ein lebenslustiger, kleiner Schatz. Er lacht viel und entdeckt gerade die Welt. Am liebsten spielt er mit seinem großen Bruder. Die beiden verbindet von Anfang an ein sehr enges Band.“ Tatsächlich sieht man Jonas seine Herzkrankheit nicht an. Er hat ein fröhliches, pausbäckig Gesicht mit rosigen Wangen. Ein kräftiges, lautes Kerlchen, das unbeirrt nach seiner Babyflasche, seinen Spielsachen und Eltern greift.
„Komm, wir starten eine eigene Spendenaktion!“
Eines Nachmittags erfährt die Familie auf Social Media vom kinderherzen-Lauf . „Das fanden wir super! Wir haben dazu eingeladen, mit uns Spenden zu sammeln für die kinderherzen Stiftung München. Vielleicht machen ja ein paar Leute mit, dachten wir uns.“ Doch bei „ein paar Leuten“ bleibt es nicht. Immer mehr Menschen melden sich bei der Familie und wollen bei der wohltätigen Aktion mitmachen.
Schlussendlich kommen rund 100 Leute zum See und über 2.000 Euro zusammen. „Alles waren wegen Jonas und uns da. Damit haben wir nicht gerechnet. Es hat uns noch mal gezeigt, dass wir nicht alleine sind. Niemand muss da alleine durch!“
Es geht weiter
Jonas wird vor seinem zweiten Geburtstag eine weitere Operation benötigen. Es wird zwar wieder eine große Herausforderung, doch er geht mit guten Voraussetzungen hinein. „Uns hat es als Familie sehr stark zusammengeschweißt und dafür bin ich wirklich froh. Seither lautet unser Motto: Ist es auch manchmal ganz schön schwer – gemeinsam schafft man alles und noch mehr!“, sagt die Herzmama und strahlt mit ihrem kleinen Herzkind um die Wette.
Die Familie wünscht sich, dass sie anderen Herzfamilien mit ihrer Geschichte Mut machen kann und hat sich deshalb dafür entschieden, ihre Geschichte mit uns zu teilen. Wir sagen von Herzen DANKE und wünschen euch weiterhin alles Gute und vor allem Gesundheit!
kinderherzen Stiftung München hilft Kindern mit angeborenem Herzfehler wie Jonas.
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Seit 30 Jahren setzt sich kinderherzen für die Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten von Kindern und Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler ein. Angeborene Herzfehler sind die häufigste Organfehlbildung. Allein in Deutschland leben über 100.000 Kinder mit einem Herzfehler.